paper positions vienna (21.11.-24.11.2024) von Lilia Bastron | november 2024
Erschwinglich, jung und zugänglich, das verspricht die paper positions seit Jahren in Berlin. Diesen November findet sich die Messe für zeitgenössische Kunst auch im historischen Kursalon Wiens. Diese erste Edition bringt uns zurück zur Essenz des kreativen Ursprungs und thematisiert das Material Papier in allen erdenklichen Variationen. Bemalt, verformt, zerrissen – das versatile Medium wird in allen seinen Formen zur Schau gestellt.
Thematisch passend zu diesem Back-to-the-roots-Charakter, stellt Jarmuschek+ Partner Aquarellarbeiten der Künstlerin Malwine Stauss aus, die vor allem für ihre extrovertierten Keramikfiguren mit menschlichen Charakterzügen bekannt ist. In ihren Papierarbeiten zeigt sie organisch-außerirdische Formgeflechte. Frei von jeder Figürlichkeit erinnern sie – unterstrichen durch ihre zarte Farbgebung – an surreale Mikroorganismen, die sich als möglicher Ursprung ihrer Keramik-Charaktere deuten lassen.
Diesen Werken gegenübergestellt, führt die Galerie Sturm & Schober die Thematik fort. Gabriela Oberkoflers Arbeiten zeigen sich in Petrischalen. Mikroorganismen. Keine echten selbstverständlich. Bunt auf Papier und beinahe überschaubar platziert, laden sie zum Näherkommen ein. Filigran und detailliert veranschaulichen sie Existenzräume ganz anderer Maßstäbe und verdeutlichen wie stark Ursprung, Wachstum und Zukunft in einer Lebensform verwoben sind.
Tritt man aus diesem Mikrokosmos zurück, sieht man wachsende Lebensformen der deutlich erkennbaren Art in der benachbarten Galerie Leuenroth. Jari Genser porträtiert eine Reihe unterschiedlicher Pflanzenarten in willkürlichen Behältnissen: Shotglas, Terrakottatopf, Alubüchse – Genser zeigt diese ergiebigen Modelle realitätsnah in Aquarell, wobei der Hintergrund undefiniert weiß bleibt. Die Bilder verschmelzen mit den weißen Messewänden und erzeugen die Illusion, auf unsichtbaren Regalen zu stehen.
Solch eine lebhafte Anschauung und Symbiose zwischen den Werken mehrerer Galerien erlaubt das vorherrschende Raumsystem. Die paper positions in Wien hat hohen Wert auf den Verzicht auf klassische Kojen gelegt, um „die Atmosphäre einer großen, hellen und luftigen Gruppenausstellung“ zu kreieren. Die „klassische Koje“ ist nicht so vollkommen verschwunden, wie der Pressetext zu glauben verleitet. Zwar sind die Kojen offener gefasst, aber eindeutig präsent. Der Unterschied ergibt sich aus den teils kürzeren, teils fehlenden Zwischenwänden, die die jeweiligen Galerien üblicherweise sichtbar trennen. Die Raumaufteilung erzielt dennoch den gewünschten Effekt. Galerist*innen und Künstler*innen sind sich einig und beschreiben den Aufbau als fließend, einladend und angenehm. Dieses Empfinden spiegelt sich auch in den Besuchenden wider und ist somit rundum positiv behaftet.
Während die genannten drei Galerien eine Beziehung symbiotischer Art evozieren, entstehen an anderer Stelle gegensätzliche Interferenzen. So das Wechselspiel der Galerie 3AP und der Galerie Smudajescheck: Philipp Naujoks zahlreiche Arbeiten hängen vereinzelt und gerahmt nebeneinander. Die Papierstreifen – mit einer Lasermethode bearbeitet – vermitteln den Eindruck, durch einen Birkenwald zu spazieren. Das schalenartig gewölbte Papier zwingt durch das wiederholende Momentum zum Nachdenken über den Stellenwert des Materials. Naujoks Werke scheinen auf den ersten Blick zurückhaltend, doch sie ziehen einen in einen kunsteigenen Raum, der sich trotz des offenen Raumkonzepts von der restlichen Messe abgrenzt. Zhuang Hong-Yi gelingt jedoch eine Entführung aus diesem Birkenwald. Während Naujoks Werke zum Rückzug einladen, drängen sich Hong-Yis Werke auf. Rauschend, lebendig, hypnotisierend. An chaotische, grelle Blumengestecke erinnernd, ragen sie aus der Koje in den Raum und kontrastieren das eben Erlebte. Die jeweiligen Künstlerpositionen bilden einen starken Gegensatz und kreieren dadurch eine dynamische Erfahrung für die Besuchenden.
Auch innerhalb der Galerien bilden sich interessante Erfahrungen zwischen Kunstwerken aus. Als Beispiel ist hier die Galerie arToxin zu nennen. Alix Stadtbäumers überdimensionales Fernglas kontrastiert mit seiner scharfen, aber schlichten Form aus weißer Pappe, die intensiven, dunklen Linien der dramaturgischen Szene aus Herbert Nauderers Kohlezeichnung. Beide Positionen funktionieren nicht nur auf einer künstlerischen Ebene miteinander, sondern schaffen ein erweitertes Storytelling. Das resultierende Spannungsverhältnis fesselt den Betrachtenden und bereichert durch die entstandene Wechselwirkung die jeweilige Position.
Bisher genannte Künstler*innen setzten sich auf eine experimentelle Art mit Papier auseinander. Trotz des Messe-Ethos das „Potential dieses besonderen künstlerischen Mediums“ zu zeigen, finden sich erstaunlich wenige Arbeiten, die das Material nicht nur als Bildträger nutzen, sondern es mit dem Werk expliziter thematisch werden lassen. Weitere hervorstechende Beispiele entdeckt man bei Ivo Prančič, der Farbe und Papier in eine Form bindet, die an Zeitungspäckchen erinnern. Duks Koschitz entwickelt Papierfaltungen, die architektonischen Modellen ähneln. Ingrid Cognes Pappsitzbank mit den ausgeschnittenen Worten „material matters“ spiegelt und subvertiert das vorhandene Messeinterieur. Ist das Kunst oder kann man sich setzen? Choi Kyung Ae formiert dünne Papierröhrchen zu einer einheitlichen Landschaft, die an fremde Planeten erinnert. Franz Beers immanente Auseinandersetzung mit dem Material zeigt sich in seinen Collagen aus Papierstreifen.
Bemalt? Ja. Verformt und zerrissen? Weniger. Trotz der spannenden Ansätze opfert sich die spielerische, experimentelle Nutzung des Materials vorrangig zugunsten einer kommerziellen Präsentation an der Wand. Selbstverständlich sollen diese Arbeiten jungen Sammler*innen durch ihren ergiebigen Preis den Kauf erleichtern. Eine klassische, gerahmte Papierarbeit ist deutlich zugänglicher als eine bunte Pappbank, auf die man sich nicht setzen kann. Dennoch darf sich eine thematisch angelegte Messe nicht ausschließlich auf Käuflichkeit und Kommerz reduzieren. Der versprochene Messecharakter könnte durch eine verstärkt abwechslungsreiche kuratorische Auswahl deutlicher zum Vorschein kommen. Die dadurch gesteigerte Vielseitigkeit künstlerischer Papier-Positionen würde das Konzept bereichern und konsequenter stützen.
Galerie Jarmuschek + Partner: Detailsansicht der Arbeiten von Malwine Stauss, Fotocredits: Paula Reschke
Galerie Smudajeschek: Zhuang Hong-Yi, Fotocredits: Lilia Bastron.