artikulation #1
Anna Schachinger: Céu Limpo (25.10.-20.12.2024)
von Fabian Wolkersdorfer | november 2024
In der Ausstellung Céu Limpo der in Wien lebenden Künstlerin Anna Schachinger, präsentiert in der Galerie Sophie Tappeiner, ziehen fünf der vierzehn Gemälde mit beinahe identischen Darstellungen den Blick auf sich – ein Einstieg, der bereits von der Kritikerin Tatiana Istomina genutzt wurde und Schachingers wiederkehrende künstlerische Methode betont. In Öl, Pastell und Aquarell auf Leinen oder Papier gemalt, zeigen diese Bilder eine bis vier Figuren, die Kinder vor blauem Hintergrund emporheben, manchmal eingerahmt von grünem, rauem Gewächs am unteren Bildrand. Die wiederholte Darstellung einer fast identischen Szene verweist auf eine Strategie der Beharrlichkeit: Einige Themen müssen durch Wiederholung eingebrannt werden, bis sie schließlich nicht nur gesehen, sondern auch verstanden und in ihrem Kern verändert werden können. Meiner Ansicht nach provoziert die Ausstellung das Hinterfragen von Stereotypen und fordert das Publikum heraus, den Konformismus des einmaligen Blicks abzulegen. Durch die Vervielfältigung werden Erfahrungen thematisiert, die über Jahrhunderte hinweg verdrängt, ausgelöscht oder auf wenige, konventionelle Rollen reduziert wurden.
Das Gewächs, das sich in manchen der oben bereits erwähnten Werke bis zur Schulterhöhe der Figuren erhebt, wirkt scharf und bedrohlich, wie ein loderndes Fegefeuer, das sie umgibt. Die Kinder, die in ihren Händen emporgehoben werden, haben lange, spitze Finger und erinnern in ihrer schemenhaften Erscheinung an Dämonen – Mischwesen, die eine unheimliche Bedrohung verkörpern und zugleich Abhängigkeit und Schutz bedingen. Doch bleibt unklar, ob die Figuren die Kinder vor der drohenden Gefahr bewahren wollen oder im Begriff sind, sie in die Tiefe der Flammen zu werfen. Allgegenwärtig ist hier der Konflikt zwischen hingebungsvoller Fürsorge und dem Drang, aus dieser traditionellen Zwangsrolle auszubrechen. Die selbstverständliche Erwartung an die bedingungslose Hingabe wird als Schatten des Kindes in Form einer Maske in die Gesichter der Figuren zurückgeworfen – ein Symbol für das soziale Korsett, das das Individuum in eine Rolle zwängt, die es befremdet und entfremdet. Die fünf nahezu identischen Werke verkörpern diesen Zwiespalt: Für mich stellt sich die Frage: Ist das ein Ausdruck von Liebe oder Abgrenzung, von Selbstlosigkeit oder Selbstachtung?
Durch die Vervielfachung verstärkt Schachinger die Mehrdeutigkeit. Die kollektive Erfahrung steht hier im Kontrast zur Individualität, dargestellt durch eine weitere Werkgruppe, bestehend aus sechs paarweise gehängten, abstrakten Bildern, in Öl und Acryl  auf lilafarbenem Samt gemalt. Als Materialerkundung gedacht, zeigt sich die Wirkung des Stoffes im Wechselspiel von Licht und Schatten: Blaue, rote und rosa Farbflächen 
changieren zwischen innerer Ruhe und wildem Aufruhr, sie scheinen gleichzeitig verhalten und entfesselt, weichen den Konventionen der Figurendarstellung bewusst aus. Die Paare symbolisieren das Zwiegespräch einer binären Welt, das ständige Aushandeln von Positionen, Solidarität und Abgrenzung zugleich.

Drei der größten Werke der Ausstellung verweigern eine einfache Lesbarkeit und fordern das Publikum heraus, das Unausgesprochene zu spüren. Das erste: ein hochformatiges Gemälde aus schwarzem Samt. Bestickt mit tiefroten Ornamenten und sparsam mit blauer Farbe übermalt, gleicht es einem geheimnisvollen Vorhang, der ein verborgenes Wissen anzudeuten scheint. Eine düstere Ästhetik von Verschlossenheit und Macht schwebt darin, als warte die Gestalt hinter dem Samt auf den richtigen Moment, um sich zu offenbaren. Ergänzend dazu ein blaues Bild im Querformat – ein offener, leerer Himmel, fast ein Nichts, 
in dem die Figuren fehlen, die bisher die Werke durchzogen. Ich frage mich, ob es der Sehnsuchtsraum jener ist, die in ihren Rollen eingeengt wurden, oder der Hinweis auf ihre absichtsvolle Abwesenheit, ein Ort der Freiheit oder des Verlusts? Schließlich ein horizontales Panorama: ein Wirbel aus Grün und Gelb, der an eine ungebändigte Natur erinnert, ein verschlingender Ort ohne sichtbare Akteur*innen. Hier wird die erdrückende Gewalt der Stille sichtbar, die jeglichen Fortschritt erstickt.

Diese Werke verdichten die Botschaft der gesamten Ausstellung: Das Schweigen über das Individuum, über seine Bestimmung, seine Wahlfreiheit, ist nicht länger hinnehmbar, wird entfaltet und gleichzeitig dekonstruiert. Unausgesprochene Erwartungen, unterdrückte Wünsche, das Einzwängen in starre, vorgefertigte Bahnen – alles schreit hier nach Sichtbarkeit und Veränderung. Das Schweigen bricht sich Bahn. Am Ende dieser Reise  steht das Bild der Frau, die in jedem Werk dieser Ausstellung präsent ist.


Galerie SOPHIE TAPPEINER, Anna Schachinger, Céu Limpo, Installationsansicht, 2024, Foto: Fabian Wolkersdorfer



Galerie SOPHIE TAPPEINER, Anna Schachinger, Céu Limpo, Installationsansicht, 2024,  Foto: Fabian Wolkersdorfer


Galerie SOPHIE TAPPEINER, Anna Schachinger, Sol Lumbrante, 2024, oil on linen, 175x210cm,  Foto: Fabian Wolkersdorfer