Dieser Sommer war der heißeste Sommer, seitdem es Wetteraufzeichnungen gibt, doch er wird es nicht bleiben. Wir befinden uns inmitten der menschengemachten Klimakatastrophe. Schlagzeilenhaft lesen wir immer wieder dieselben Nachrichten: Arten sterben, Gletscher schmelzen, extreme Wetterereignisse nehmen weltweit zu – das Land rebelliert. Und doch ändert sich viel zu langsam viel zu wenig. Gerade vor diesem Hintergrund scheint es wichtiger denn je, das Verhältnis von Mensch und Natur zu hinterfragen und neu zu bestimmen. Wie geht der Mensch mit dem Land um? Wie kultiviert er es und wie versucht er es zu kontrollieren?
Auch die Wiener Anzenberger Gallery stellt diese Fragen in ihrer Ausstellung The Meaning of Land. Doch im schnelllebigen, dem kapitalistischen Kunstmarkt folgenden Ausstellungsrhythmus bleibt kaum Zeit, diesem so wichtigen Thema tiefgreifend nachzugehen. Kuratorisch versucht die Galerie diesen Fragen mit Arbeiten der österreichischen Künstlerin Daniela Köppl und des australischen Künstlers Kurt Sorensen näher zu kommen. Dafür werden Landschaftsfotografien aus den jeweiligen Heimatländern in Bezug zueinander gesetzt. Doch was genau sind diese Bezüge, die in dem Pressetext der Ausstellung keinerlei Erklärung finden, sondern unter der Phrase „eine visuelle Annäherung“ eher verborgen, als entfaltet werden? Und welche möglichen Antworten auf die eingangs formulierten Fragen geben die beiden Werkreihen?
Nähern wir uns diesen Fragen durch einen Gang durch die Ausstellung: Wer durch die Ausstellung geht, erlebt die Fotografien wie vorbeiziehende Aussichten aus den Fenstern eines Zuges, der in der frühen Kolonialgeschichte Australiens beginnt und in der heutigen Kulturlandschaft Österreichs endet. Zunächst richtet sich der Blick auf die Landschaften Kurt Sorensens, in denen sich das Land in Dämmerlicht, Dunst und Wasserspiegelungen zu mystisch romantischen Szenerien webt. Die Arbeiten, die Titel wie Down by the Water, The Turon River 1872 oder Widows Creek 1910 tragen, spielen dabei auf seltsame, vergessene Ereignisse aus Australiens kolonialer Vergangenheit an, in denen Siedler*innen in der australischen Wildnis verschwanden oder auf mysteriöse Weise zu Tode kamen. Der Künstler begibt sich zurück an die Orte der Geschehen. Durch chemische Prozesse in der Verarbeitung des Films stellt er jene unbehaglichen Stimmungen und Ängste der Opfer nach, die durch die Konfrontation mit der Natur entstanden. Landesgeschichte und Anthropologie verbinden sich in Sorensens Werk und erzählen die Kolonialgeschichte in ihrer Spannung zwischen der Zivilisierung des „wilden“ Landes und dem stoischen Widerstand der Natur nach. Die Fotografien werden zu Erinnerungen antagonistischer Begegnungen zwischen naiven Entdecker*innen und australischer Wildnis. Wie in der Klimakatastrophe schlägt auch hier die Natur zurück: Die Landschaft ist nicht Kulisse, sondern eigenständige Akteurin, die die kolonialen Eroberer*innen und damit auch uns Betrachter*innen mit unserem naiven Gefühl der eigenen Überlegenheit konfrontiert.
Während Sorensen damit vor allem Naturlandschaften porträtiert, bildet Daniela Köppl in ihren hochformatigen Aufnahmen landwirtschaftlich genutzte Flächen aus Österreich und Bayern ab. Im Unterschied zur Naturlandschaft, die von natürlichen Prozessen geformt wird, ist die Kulturlandschaft das Ergebnis menschlicher Einflüsse. Das Land wird durch regelmäßige, jahreszeitlich bedingte landwirtschaftliche Aktivitäten wie Pflügen, Pflanzen oder Ernten verändert und umgeformt. Ein zentraler Effekt dieser Landschaftskultivierung ist der starke Rückgang von Biodiversität. Jedes Bild ist dabei gleich aufgebaut: Der Horizont verläuft im oberen Drittel des Bildes, wodurch der Blick auf den bearbeiteten Boden gelenkt wird und die Eigenheiten seiner saisonalen Nutzungen in den Mittelpunkt rücken. So finden wir ihn mal in gepflügtem Zustand, mal in voller Blüte und mal brach vor. Auch wenn der Mensch als Figur in den leeren Agrarsteppen nicht in Erscheinung tritt, ist seine Präsenz in der Formung und Aneignung des Landes unmittelbar greifbar. Die Reduktion der Bildelemente auf den Boden und einen Streifen neutral wirkenden Himmels führt den unwiederbringlichen Verlust von Biodiversität und damit die Drastik des Artensterbens unmittelbar vor Augen. Umso interessanter ist es, dass die Künstlerin als Motiv ihrer konzeptionellen Fotoserie die romantischen „KUPPEN“ wählt – einen Standort, der zunächst die Sicht versperrt, nur damit sich sodann Land und Blick wieder weiten. Zum einen spielen diese Landerhebungen auf sonst abhandengekommene natürliche Prozesse an, zum anderen aber wecken sie Neugier und beflügeln die Fantasie. Sie laden ein, weiteraufzusteigen, sie zu begehen, um herauszufinden, was sich ihnen anschließt. Trotz vermeintlich vollständiger menschlicher Unterwerfung der Landschaft, wirkt die Natur so immer noch intensiv wie subversiv auf uns ein. Abermals fungiert das Land als Kulisse und handelnder Akteur.
Sowohl Sorensen als auch Köppl visualisieren in ihren Werkreihen den Versuch der menschlichen Unterwerfung und Aneignung von Land – und sein Scheitern. In dieser antipodischen Beziehung von Mensch und Natur gewinnt die Natur. Die Ausstellung kann somit als Plädoyer begriffen werden, vor dem Hintergrund aktueller Natur- und Wetterereignisse das Selbstbild des Menschen als Bezwinger*in der Landschaft grundlegend zu überdenken. Das Potenzial dieser starken und aktuellen Botschaft der Werke kommt in der textuellen Vermittlung der Anzenberger Gallery in dem Begriff der „visuellen Annährung“ jedoch zu kurz, der die vielfältigen Dimensionen dieses Themas kaum entfaltet. Auch in den Informationen zur Praxis der Künstler*innen und Werkhintergründen hält sich die Galerie zurück und schreibt: „Während Kurt Sorensen dem Ursprung der Landschaft vor der Besiedlung Australiens nachspürt, erkundet Daniela Köppl die kultivierte Landschaft in der Form von Kuppen.“ Die Arbeiten sprechen zwar für sich, doch entfalten sie ihre volle Kraft erst, wenn sie in einen größeren Kontext eingebettet werden. Wo der Pressetext von The Meaning of Land dabei zurückhaltend bleibt, werden wir als Besucher*innen umso mehr dazu aufgefordert, uns selbst intensiv mit der anthropozänen Bedeutung von Landschaft auseinanderzusetzen.
AnzenbergerGallery, The Meaning of Land, Foto: Nike Meiers
Kurt Sorensen, Down By the Water #2, 2024, C-type photograph from colour negative, 164x113cm
Daniela Köppl, St. GEorgen an der Gusen, 2018, pigment print on Hahnemuehle PhotoRag, 40x30cm