artikulation #2 Matthias Noggler: Untitled Abstractions (30.10.-07.12.2024) von Timna Tichy | dezember 2024
In der aktuellen Ausstellung Untitled Abstractions zeigt die Galerie Layr sechs neue Werke des österreichischen Künstlers Matthias Noggler. Wenngleich der Titel anderes vermuten lässt, tragen alle gezeigten Werke einen Namen: Titel wie Shopping Center, Urban Fabric und Housing Complex III (alle 2024) deuten auf das übergeordnete Thema der Serie hin: abstrahierte Darstellungen städtischer Architektur.

Genauso wie der Ausstellungstitel, gibt auch der nur kurze Pressetext genug Denkanstoß, um Betrachter*innen anzuregen, über das Gesehene nachzudenken, ohne sie dabei zu sehr in ihren eigenen Deutungen zu beeinflussen. So verrät dieser Besucher*innen nur, dass Noggler bisher figurativ gearbeitet und sich besonders mit „sozialen Konflikten und anderen Gruppendynamiken beschäftigt hat“, der Künstler sich in den ausgestellten neuen Arbeiten aber symbolhaften Orten der modernen Gesellschaft zuwendet.

In diesem Sinne zeigen die großformatigen Gemälde, typische Orte des städtischen Lebens, wie ein Einkaufszentrum, ein Stiegenhaus, oder ein Wohnkomplex und dessen Hinterhof. All diese sollten dem Leben in einer Gemeinschaft dienen, dennoch bleiben die Leute, welche diese Orte nutzen, zumeist Fremde, und in den Werken Nogglers gar unsichtbar.

Bereits Karl Marx und Friedrich Engels beschäftigten sich im 19. Jahrhundert mit den Auswirkungen des Kapitalismus, der die Gesellschaft zerriss und voneinander isolierte. Eine Lösung sahen sie unter anderem darin, gemeinschaftliche Orte zu schaffen. Knapp 200 Jahre später greift Noggler diese kollektiven Lebensräume in seinen Werken auf - was fehlt sind die Menschen. Die Isolation der*s Einzelnen ist, trotz der Entstehung solcher Räume, nicht verschwunden. So haben durch soziale Medien, sämtliche dieser Orte an Bedeutung verloren. Man kann andere Menschen sehen, ohne seine eigenen vier Wände zu verlassen und auch Einkaufen ist möglich vom eigenen Sofa aus. Die scheinbare Möglichkeit, mit nur einer App Hunderte von Menschen zu sehen und mit ihnen zu interagieren, verstärkt die Isolation, da echte, physische Begegnungen meist ausbleiben. Vielmehr ist man allein gegenüber einer Flut von Persönlichkeiten auf Social Media. Auch vermeintlich banale soziale Interaktionen, wie z. B. beim Einkauf einer kassierenden Person das Geld zu übergeben und sich einen schönen Tag zu wünschen, oder gar der Familienausflug ins Einkaufszentrum, um die Kinder einzukleiden, werden obsolet. Dabei werden die einzelnen Personen immer isolierter und der Aufwand, der betrieben werden muss, um mit anderen Personen in Kontakt zu treten wird größer.

Die scheinbare Rezeption Mondrians im Werk Not Window, Not Wall (2024) ergänzt diese Kritik um die Suche nach einer harmonisch ausgeglichenen Weltordnung, während das Gemälde Urban Fabric den sowjetischen Konstruktivismus adaptiert. Erneut impliziert Noggler hier soziale und politische Zwecke in seiner Kunst, hinterfragte der Konstruktivismus schon zu Zeiten seines Aufkommens die damaligen Zustände – sowohl in der Kunst als auch in der Politik.
Dennoch bricht Noggler mit der Natürlichkeit Mondrians und der konstruktivistischen Objektivität, indem er seine Vorzeichnungen sichtbar lässt und so seine Überarbeitungen und den Unterschied zwischen dem ursprünglichen Plan und der tatsächlichen Ausführung sichtbar macht. Gleichzeitig dekonstruiert er durch das offensichtliche Eingestehen eigener Fehler den Mythos des Künstlers als gottähnliches, unfehlbares Genie.

Tatsächlich ist in der Ausstellung nichts so wie es auf den ersten Blick scheint. Obwohl der Titel unbenannte Werke erwarten lässt, trägt jedes Werk einen eindeutigen Titel. Zu sehen sind menschenleere Orte der Gemeinschaft und stark geometrische Werke, deren Linien aber ungenau sind und die vorhergegangenen Vorzeichnungen sichtbar lassen.

Durch die Platzierung im Raum, gegenüber großen Fensterfronten, scheinen die Werke als Spiegel unserer heutigen Gesellschaft zu fungieren. Besucher*innen finden sich dabei genau in der Mitte dieser beiden Welten. Durch das genaue Hinschauen, welches bei den Werken Nogglers nötig ist, regt die Ausstellung einerseits dazu an, sich auch mit den Umständen in der eigenen Stadt auseinanderzusetzen, andererseits zeigen sie auch, dass alles ein Prozess ist. Ebenso wie die Entstehung eines Gemäldes, wie z. B. im Fall von Urban Fabric, dessen finale Version sichtbare Spuren von verworfene Ideen, Versuchen und Fehlern enthält, sind auch gesellschaftliche Veränderungen von Versuchen und Rückschlägen geprägt bis Veränderung tatsächlich eintritt.  



Matthias Noggler
Untitled Abstraction, 2024
Installation view
Layr Singerstraße, Vienna 
Courtesy the artist & Layr, Vienna
Photo by kunst-dokumentation.com



Matthias Noggler
Urban Fabric, 2024
Gouache and colored pencil on linen
160.5 x 190.5 cm
Courtesy the artist & Layr, Vienna
Photo by kunst-dokumentation.com 


Matthias Noggler
Shopping Center, 2024
Gouache and colored pencil on linen
 160.5 x 191 cm
Courtesy the artist & Layr, Vienna
Photo by kunst-dokumentation.com