artikulation #2 Belinda Kazeem-Kamiński: Ire T’ónlọ Lọ́wọ́ / Blessings, ongoing (31.10.-19.12.2024) von Eva Gassner | dezember 2024
Die andere Seite der Belinda Kazeem-Kamiński
Belinda Kazeem-Kamiński äußert sich durch ihre Kunst politisch und möchte politisch wirksam sein. Sie beruft sich auf feministische, antirassistische und antikolonialistische Theorien und legte den Finger bisher dorthin, wo es uns Europäer*innen weh tut oder zumindest weh tun sollte.

Ihre Arbeiten beruhen auf Recherchen historischer Quellen und zeigen oft einseitige Sichtweisen sowie Leerstellen in europäischen Archiven und Museen auf. So hat die Künstlerin 2015 eine zweiteilige Assemblage über Mmadi Make angefertigt, der im 18. Jahrhundert versklavt wurde. Er kam in Wien als Angelo Soliman zu Reichtum und hohem Ansehen – und wurde dennoch nach seinem Tod auf kaiserlichen Befehl hin ausgestopft und mit Lendenschurz, Muschel-Halsschmuck und einer Krone aus Straußenfedern ausgestattet zur Schau gestellt. Und auch in The Letter und Strike a Pose wird die Zurschaustellung von Menschen aus Afrika in einer Wiener Völkerschau und im Rahmen ethnologischer Forschungen um 1900 thematisiert. Alle diese Arbeiten verweisen, ohne einen voyeuristischen Blick zu bedienen, auf historische Verbindungen zwischen Afrika und Österreich und zeigen, wie koloniale Machtverhältnisse fortgeschrieben werden.

In ihrer aktuellen Ausstellung Ire T’ónlọ Lọ́wọ́ / Blessings, ongoing zeigt Kazeem-Kamiński nun ihre persönliche Seite: Die 1980 in Wien geborene Künstlerin, die 2023 zum ersten Mal seit 31 Jahren in Nigeria war, präsentiert das Ergebnis eines zweimonatigen Studienaufenthalts in Lagos. In Fotoarbeiten reflektiert sie ihre familiären Verbindungen sowie kulturelle und künstlerische Traditionen des Landes ihrer Vorfahren. lyá, Bàbá àti Emi (Mother, Father, and Me), ein ca. 1x2 m großes Schwarz-Weiß-Foto, zeigt die Künstlerin zwischen ihrer Mutter und ihrem Vater. Selbst inzwischen Mutter, posiert sie vor der Kamera in Tradition der westafrikanischen Studiofotografie und schlüpft dabei selbst in jede der 3 Rollen. Durch die Ausstattung stellt sie sich in eine Ahnenreihe, die über die Familie hinausgeht: Ein traditionell gemustertes Tuch, das als Fotohintergrund genutzt wird, oder ein kleiner goldener Vogel, der mit dem Ifá-Orakel verbunden ist – ein System, das den Yoruba hilft, das Leben zu verstehen und Entscheidungen zu treffen – sind dabei Elemente, die auch in anderen Arbeiten auftauchen.

Die sechs Werke sind in zwei Räumen der Galerie Wonnerth Dejaco in Szenerien eingebettet, in ein Fotostudio und in eine rot beleuchtete Dunkelkammer. In dieser sind auf einem Tisch Fotoschnipsel, Arbeitsmaterialien und ein Kassettenrecorder-ähnliches Gerät arrangiert. Sogar Musik gehört zur Inszenierung. Auf dem Tisch liegt auch ein Fotoband des 2014 verstorbenen Fotografen J.D. Ojeikere, der mit Fotoaufnahmen von Frisuren nigerianischer Frauen bekannt wurde und auf den sich Kazeem-Kamińskis Werk Ori mi (My head) bezieht. An der Wand hängen Fotos, die die Künstlerin inspiriert haben, Texte über Ifá und eine bestimmte Technik des Stofffärbens sowie ein Artist Statement. Diesem zufolge hat sich Kazeem-Kamiński in Lagos an Gerüche, Farben und andere Eindrücke erinnert, die sich schon in ihrer Kindheit in ihren Körper eingeschrieben haben. Mit ihrem Memory-Board nimmt sie uns nicht nur in den Entstehungsprozess der ausgestellten Werke mit, sondern sie weist explizit auf die ihrer Kunst immanente Prozesshaftigkeit hin.

Im Fotostudio dominiert wie in allen Farbfotos die Farbe Indigo. Kazeem-Kamiński, die sich in Lagos auch mit der Sprache der Yoruba beschäftigt hat, wählt beispielsweise für Alífábeeti ni àgó ara mi (In my Body an Alphabet) einen indigo-farbigen Hintergrund, der an Fingerabdrücke erinnert und referenziert damit auf eine Technik nigerianischer Frauen, Tücher mit einer stärkehaltigen Paste zu färben.

Wie sich in der Ausstellung die Grenzen zwischen den gezeigten Fotoarbeiten und deren Inszenierung auflösen, ist durchaus spannend – allerdings macht es Kazeem-Kamiński Betrachter*innen damit schwer, zu erkennen, was Teil des Werks ist. Zeigt uns die Künstlerin die Texte nur im Rotlicht der Dunkelkammer, weil sie sie nicht wie in vergangenen – und meiner Meinung nach starken – Arbeiten performativ verwendet? Weil sie weiß, dass wir als Betrachter*innen die emotionalen, persönlichen Erfahrungen, die sie in Lagos gemacht hat, trotz Zusatzinformationen nicht nachvollziehen können? Oder weil sie möchte, dass wir uns zumindest beim Lesen anstrengen?
Dass Kazeem-Kamiński Besucher*innen einiges abverlangt, mag damit zu tun haben, wie sich die Künstlerin nun präsentiert: In vergangenen historisch konnotierten und performativen Arbeiten zeigte sie sich aktiv und selbstbewusst. So dringt sie 2017 für ihre Video-Performance Unearthing. In Conversation in ein Archiv ein und verleiht auf Fotos festgehaltenen, eurozentrisch gesehen recht- und stimmlosen Menschen eine Stimme. Und in der Video-Arbeit O.T., K.T.C.I. (2022/24), in der Kazeem-Kamiński sich auf Augusto Boals Theater der Unterdrückten beruft, fordert sie Schwarze auf, die Handlungsmacht zu übernehmen. Nun jedoch ist alles anders: Unter Anwendung des Ifá-Systems hat die Künstlerin dem Pressetext zufolge Selbstporträts kreiert, die sie in Ruhe und Ausgewogenheit zeigen. In iwà pele (Balanced Character) ist sie ein ebensolcher Charakter, verschiedene symbolbeladene Gegenstände auf dem Kopf balancierend. Aktionismus ist verunmöglicht, im Gegenteil: Jede Bewegung könnte bewirken, dass etwas zu Boden fällt. Da sich Kazeem-Kamiński persönlich nun zwar bewegt, aber bewegungslos zur Schau stellt, dekonstruiert die aktuelle Ausstellung in gewisser Weise ihre bisherige künstlerische Praxis.



Belinda Kazeem-Kamiński, Ire T’ónlọ Lọ́wọ́ / Blessings, ongoing, installation view , Courtesy the artist and Wonnerth Dejaco, Fotos: Flavio Palasciano



Belinda Kazeem-Kamiński, Ire T’ónlọ Lọ́wọ́ / Blessings, ongoing, installation view , Courtesy the artist and Wonnerth Dejaco, Fotos: Flavio Palasciano


Belinda Kazeem-Kamiński, Ire T’ónlọ Lọ́wọ́ / Blessings, ongoing, installation view , Courtesy the artist and Wonnerth Dejaco, Fotos: Flavio Palasciano

Belinda Kazeem-Kamiński, Ire T’ónlọ Lọ́wọ́ / Blessings, ongoing, installation view , Courtesy the artist and Wonnerth Dejaco, Fotos: Flavio Palasciano