artikulation #2 Farah Al Qasimi: Toy World (07.11.-11.01.2025) von Lan Chi Nguyen | dezember 2024
Ich bin verloren, verwirrt, liege ohnmächtig bekleidet in einem Schlangenmuster in den Sandwellen einer unbekannten Wüste unter einem vertrauten Himmel, der mir heute Nacht wieder fremd geht. Ein sich ausbreitendes Licht, das die weichen Wellen im Sand schärfer zieht, strahlt meine nackten Füße an. Ich bin hilflos und dabei bin das gar nicht ich. Ich bin nur die, die in irgendeinem Altbau im ersten Bezirk Wiens auf fremde nackte Füße starrt.

In Farah Al Qasimi’s Ausstellung Toy World in der Galerie Krinzinger treffen Authentizität und Inszenierung aufeinander. Ein unsicherer Zwiespalt, aus dem in unserer postfaktischen, digital überrannten Zeit, mittels Fotografie ideologisch getriebene Narrative produziert werden. Die Künstlerin aus Abu Dhabi sammelt mit ihrer Kamera Objekte und Eindrücke aus unterschiedlichsten Kontexten, die sie in ihrem bunten Studio kollidieren lässt, um träumerische Weltkonstellationen zu erschaffen, die ineinander verflochten sind. Aus diesem – wie sie es nennt „chaotic connection seeking“ stechen in ihren früheren Ausstellungen wie „Poltergeist“ oder „Everywhere there is splendor” leuchtende Farben wie Neongrün oder Pink hervor, aber Toy World ist keine Traumwelt. Es ist eine, die unsere konfliktreiche und überwältigende Realität zeigt, wie sie ist und wie viele junge Menschen sie erleben. Und somit fühlt sich diese Ausstellung reifer, echter und vor allem trauriger an als ihre bisherigen Projekte.

Ich trete ein und mein Blick reicht nicht weit. Er wird gefesselt, durchdrungen und erschlagen von Yaras Präsenz. Obwohl sie von Qasimi von oben fotografiert wird, schaut sie auf mich herab. Ihr khaleeji Makeup erinnert mich an die 90er bis frühen 2000er. Ein helles Pink finde ich in der Fassade im Bild links von ihr, in den Fensterscheiben im rechten Foto und in Yaras Kopftuch wieder. Dadurch stellt die Künstlerin eine Beziehung zwischen unterschiedlichen Räumen her und kreiert eine Art zweidimensionalen Bau, der aus einem Außen an den Seiten des Triptychons und einem Innenraum in der Mitte entsteht. Links und rechts richten sich große Mauern auf, die durch gespiegelte Fenster, meinen Blick hinter die Fassade blockieren und reflektieren. Selbst die Überwachungskamera links von ihr schafft es nicht weit: Ihr Körper spiegelt sich im Fenster. Und Yara im Mittelpunkt ist so unzugänglich, dass weder ich noch die Kamera einen Einblick in ihr Inneres gewinnen.

Das Pink finde ich in der Installation nebenan wieder: Ein Röhrenfernseher, der umrahmt ist von einem wild bemusterten Stoff. Über den Bildschirm des alten Fernsehers findet mein erstes Treffen mit der Wüste statt. Er zeigt eine Frau, die immer wieder einen Sandhügel herunterrollt. Die Wiederholung und die Frau stören mein Rendez-vous mit der Landschaft. Später aber treffe ich wieder auf sie. Diesmal ungestört, jedoch hängt sie farblos an der Wand. In Schwarz-Weiß wirkt sie wie eine Erinnerung, wie ein Ort, der zu ruhig ist, um mit der digital reizüberfluteten Postmoderne, in der ich lebe, zu koexistieren. Ist es die Ruhe im Bild oder der Schwarz-Weiß-Filter, durch den dieser Ort so distanziert erscheint? Ich verliebe mich in Qasimis Version der Wüste, die mir Zuflucht bietet.

Die braunen Töne im Stofftuch führen mich zu den schärferen Bildern gegenüber. Schärfer, nicht in der Fokuseinstellung, sondern in ihrer Aussagekraft: Die Bilder weisen im Kontrast zum neonfarbenen Triptychon Erdtöne auf: Beige, Gelb, Braun, Orange. Hier treffe ich auf Wärme, Authentizität. Der Weg von der Szene über die Linse der Künstlerin bis zu mir ist direkter, weniger filtriert weder durch Farben noch durch eine rekontextualisierende Inszenierung einzelner Fragmente.

Machboos ist eine Nahaufnahme eines Reisgerichtes mit Überresten vom Hühnchen. Camel Bones zeigt Kamelknochen auf einem trockenem Boden. Crane Accident stellt einen umgefallenen Kran dar und Burning Palm eine brennende Palme. In all diesen Bildern werde ich mit Zerstörung und Zerfall alltäglicher Gegenstände konfrontiert. Wieder stehe ich zwischen der unbetroffenen, passiven Betrachtung und einem Geist, der in den Alltag einzudringen scheint und ihn in Trümmern verlässt. Er scheint so mächtig, dass sein Handeln selbst architektonische Überreste hinterlässt wie in Jarash – der jordanischen Stadt antiker Architekturruinen.

Bereits im ersten Raum liegt mehr Intention hinter Qasimis Farbgebung als in ihren bisherigen Projekten. Grelle Farben stehen warmen gegenüber – ein Blick von außen und einer von Innen. Es dreht sich um das Sehen, das Beobachtet-Werden und das Gesehen-Werden-Wollen. Aber meine Sicht wird in vielen Bildern von Schwarz-Weiß-Filtern getrübt. Einerseits sehe ich die Szenen deutlicher, weil das Licht allein die Objekte voneinander abgrenzt. Andererseits entsteht die Illusion einer persönlichen und historischen Distanz zum Abbild. Neben der Farbe wird auch jegliche Dringlichkeit entzogen. Die dargestellte Szene scheint zu lange her, um vom Betrachter als relevant für sein gegenwärtiges Handeln wahrgenommen zu werden. Qasimi observiert und in ihrer Observation findet man Angst. Angst vor dem Jetzt und dem Danach. Aber wie sehr überträgt sie diese auf mich?

Auf den ersten Blick steht Politik nicht im Fokus von Toy World, aber der Geist, der wie selbstverständlich durch die Galerieräume schwebt, ist einer, der überwacht, einer der zerstört. Und die Folgen seines Handelns sind nicht aus der Bildbetrachtung auszulöschen.

In House Under Construction begegne ich einer Szene der Verlassenheit, des Unbehagens. Ein leerstehendes Gebäude, dessen Fenster und Türen wie schwarze Löcher wirken, steht vor einer Kulisse aus Bergen. Nur ein Vogel fliegt ziellos durch die leblose Landschaft heraus, hinein oder vorbei. Dieser Einblick in das „Dort“ steht für die Verallgemeinerung des Ostens in der westlichen Wahrnehmung ein Raum, der überwacht, zerstört und ausgelöscht wird.

Qasimis multimediale Arbeit ist einerseits überwältigend durch störende Sounds und unterschiedliche Plastikspielzeuge in der Videoinstallation Toy War oder viele bunte Bilder, die sich auf dem Kartonuntergrund von Wingspan versammeln. Andererseits ist das Hand-in-Hand-Gehen mit dem Geist ein ruhiger Spaziergang: Zurückhaltende, natürliche Farben und stille Szenarien, die in feinen Graustufen und einem weichen, aber detaillierten Fokus in ihrer rohen, unbefangenen Natur gezeigt werden, übertrumpfen die störenden Geräusche der Installationen.

Die Ausstellung greift die unterschwellige Angst, Frustration und gleichzeitige Gleichgültigkeit auf, die vor allem in der Neunziger und 2000er Generation gegenüber Konflikten im Osten besteht. Die Wüste ist simpel dargestellt. Sie verschluckt unsere Angst. Sie ist ein stiller Fluchtort ohne äußeren Reiz. Aber auch die Wüste verbirgt Trümmern unter ihrem Sand.

Mithilfe der fotojournalistischen Arbeit zeigt Qasimi die Einflusskraft von Bildern auf unsere Weltsicht. Die Fotografie wird immer inszenieren, Dinge ausblenden, die Wahrheit verbiegen. Wenn der Betrachter nicht über seine Eigenverantwortung, seine Positionierung weltpolitischer Missverhältnisse gegenüber nachdenkt, blind durch gezielt arrangierte Bilder scrollt, wird er am Ende hilflos in der Wüste landen, während sich der Himmel über ihm spaltet. Denn am Ende ist sie kein Zufluchtsort. Sie ist die Illusion, die aus einem eskapistischen Drang entsteht, sich aus jeglicher Verantwortung für die Gegenwart, in der man lebt, zu entziehen.



Farah Al Qasimi, Sand Dune, 2023, ALQ/F 18/1, Archival Fotoprint Inkjet, 76 x 102 cm, Ed. 5 + 2AP




Farah Al Qasimi, Security Camera, Yara, Pigeons on Pink Building, 2024, ALQ/F 2/1, Archival, Inkjet Print, Tryptich, 127 x 220 cm, Ed. 5 + 2AP




Farah Al Qasimi, Machboos, 2024, ALQ/F 1/1, Archival Inkjet Print, 114 x 152 cm, Ed. 5 + 2AP





Farah Al Qasimi, House Under Construction, n.d., ALQ/F 5/1, Archival Fotoprint Inkjet, 51 x 69 cm, Ed. 5 + 2AP