(05.12.2024-08.02.2025 ) von Xenia Huber | februar 2025
DURA BROKEN LEX – ROLLEIFLEX – PERPLEX
KLIRR. Das Wasserglas, eben noch in meiner Hand, sehe ich nun in tausend Splittern und Scherben auf dem Boden liegen.
Auch hier, in der Christine König Galerie sehe ich acht zerbrochene Gläser. Sie bilden die ersten acht Fotografien der Dura broken Lex Ausstellung von Alwin Lay. Es handelt sich dabei um acht verschiedene Größen des bekannten Picardie Trinkglases der Marke Duralex – spielerisch auf den Titel der Ausstellung übertragen. Auch sie sind allesamt zerbrochen oder befinden sich im Moment des Zerbrechens. Allerdings resultiert das Zerbrechen auf den Fotografien nicht in einem Scherbenmeer wie in meinem Fall. Die Zersplitterung findet jeweils auf eine andere Weise statt, wobei die ursprüngliche Gestalt der Gläser erhalten bleibt.
Aus dem Pressetext erfahre ich, dass der rumänische Künstler Alwin Lay seine analogen Fotografien der Gläser mittels KI generierter Sprünge und Scherben nachträglich ergänzt hat. Niemals könnte ein Dura broken Lex auf eine solch kalkulierte Weise zerbrechen. Diese Kombination erscheint fast paradox: Eine klassische, materielle Aufnahmetechnik trifft auf moderne digitale Eingriffe. Dadurch entsteht ein doppeltes Spiel mit Realität und Illusion – sowohl im Bildmotiv als auch im technischen Entstehungsprozess. Sofort fühle ich mich in meiner Betrachtung unsicher und ertappt. Ist das, was ich in dieser Ausstellung sehen werde, noch Fotografie oder bereits eine digitale Simulation?
Der Galerist Robby Greif erklärt mir, dass Alwin Lay – zu meiner großen Verwunderung – nur für seine acht Duralex-Fotografien die nachträgliche KI-Bearbeitung angewandt hat. Die restlichen Fotografien wurden keiner solchen Bearbeitung unterzogen. Diese Unterscheidung ist entscheidend. Während man heute beinahe reflexartig KI-generierte Bilder als Inbegriff visueller Täuschung betrachtet, stellt Lay sie bewusst in den Kontext der analogen Fotografie. Damit gelingt es ihm, unsere gegenwärtige Fixierung auf digitale Manipulation als primäre Quelle der Täuschung zu hinterfragen.
Die Ausstellung fordert die Betrachter*innen auf, die Authentizität des fotografischen Bildes infrage zu stellen. Lay nutzt Fotografie nicht nur als ein Medium der Abbildung, sondern als eines der Konstruktion und Manipulation. Wie viel Inszenierung steckt in jedem fotografischen Moment? Wie sehr formt die Fotografie unsere Realitätswahrnehmung? Fragen mit denen ich die Ausstellung aus einem neuen Blickwinkel betrachte.
Links von der Duralex-Fotoserie, welche den scheinbar realen Moment des Zerbrechens perfekt einfriert, sehe ich die Fotografie einer eben benutzten 12-Schuss-Munition. Stehend, isoliert und ohne Schusswaffe zeigt sie eine unmöglich fotografierbare Situation. Zwei Fotos von Christbaumkugeln im nächsten Raum scheinen ihren zugrundeliegenden physikalischen Gesetzen zu trotzen. Während in Glaskugelaufhänger / glass ball hanger, die Kugel ausbalanciert auf einem kleinen Drähtchen, schwerelos erscheint, ähnelt Blue Space Origin X nicht nur ihrem Namen nach einer Rakete. Der aus der Kugel schießende Feuerstrahl lässt sie scheinbar emporsteigen, ähnlich wie es bei Raketenstarts üblich ist.
Ich bemerke, wie die Spiegelungen der Kugeln weder die sie fotografierende Kamera noch den Künstler zeigen. Sie erzeugen eine surreal wirkende Realität.
Mir wird klar wie diese Werke Grenzen und Fähigkeiten des Mediums der Fotografie hinterfragen. Die Reflexion und Verzerrung der Wirklichkeit werden als zentrales Motiv sichtbar. Diese analogen Fotografien wurden keiner nachträglichen digitalen Manipulation untersetzt, dennoch erwecken sie den Eindruck von Künstlichkeit. Dies unterstreicht die Mächtigkeit der fotografischen Inszenierung.
Die Fotografie Tube II, eine aus sich selbst leuchtende Saucentube, welche wie ein Scheinwerfer von oben ihren eigenen Deckel anleuchtet, bringt mich weiter in den dritten Raum der Galerie. Zwei Fotoserien stehen sich gegenüber. Auf der linken Seite vier Fotos von analogen Kamerafilmen, schwebend in einem raumlosen Gefüge. Obwohl sie von ihrer Filmrolle gelöst sind, behalten sie ihr spiralförmiges Drehmoment bei. Gegenüber fünf Filmposter, deren Titel Filmklassiker evozieren, darunter Lost in Abeyance, Tensions und Outbreak. Die real erscheinenden Filmposter haben aber mit den assoziierten Filmklassikern nichts zu tun. Abgebildet sind Objektfotografien ganz nach Lays Manier, die er in fiktive Filmposter umwandelt. In den Filmcredits auf den Postern listet Lay außerdem Personen auf, mit denen er tatsächlich einmal zusammenarbeitete.
Den Raum vervollständigt ein weiteres zentrales Werk: The Rise. Es zeigt die Fotografie einer Rolleiflex-Kamera, die als Projektor inszeniert ist. Normalerweise dient eine Kamera dazu, Bilder aufzunehmen, hier wird sie in einer neuen Funktion präsentiert und wird selbst zum Gegenstand der Betrachtung. Durch die bewusste Umdeutung der Kamera fordert Lay uns auf, über die Rolle der Fotografie als Vermittlerin von Realität sowie als eigenständiges Betrachtungsmittel nachzudenken.
Im letzten Bereich der Ausstellung akkumulieren sich meine Fragen. Erneut sehe ich die Fotografie einer unmöglichen Situation – ein Sektkorken wird durch die sprudelige Flüssigkeit aus der am Boden liegenden Agraffe geschossen. Davor befindet sich die Videoinstallation einer visuellen Paradoxie. Ich beobachte, wie ein unsichtbarer Würfel mit blauer Flüssigkeit gefüllt wird. Die Frage Wie?, die sich durch die gesamte Ausstellung zieht, erreicht hier ihre Klimax. Die Ausstellung, welche neben den genannten Werken auch noch weitere analoge Fotografien derselben Art enthält, zeigt wiederholt, wie leicht täuschbar unsere visuelle Wahrnehmung ist. Sie macht deutlich wie stark das Medium Fotografie unsere Seherfahrung beeinflussen kann.
Alwin Lay schafft es, die Objekte vor seiner Linse so zu inszenieren, dass sie aus ihrem herkömmlichen Kontext gerissen werden. Durch diese Inszenierungen und dem Spielen mit verschiedenen Kameraeinstellungen gelingt es ihm, Werke zu schaffen, die sich damit zwischen Realität und Täuschung situieren. Der Künstler fordert von den Betrachter*innen, vertraute Sehgewohnheiten aufzubrechen, die eigene Wahrnehmung zu hinterfragen und sprichwörtlich outside the box zu denken. Er spielt mit uns insofern, als er scheinbar momenthafte Situationen fotografisch erfasst und sie zeitlos erscheinen lässt. Seine Fotografien führen uns vor Augen, dass Bilder nicht nur Realität wiedergeben, sondern auch Realität konstruieren. Indem er alltägliche Objekte aus ihrem ursprünglichen Kontext reißt und neue Narrationen schafft, hinterfragt er die Authentizität des Mediums. Gleichzeitig gelingt es ihm, mit der Erwartung der Betrachter*innen zu spielen und diese mit Unsicherheit zurückzulassen. Diese Reflexion führt mich schließlich dazu, die Ausstellung auf einer neuen Ebene zu hinterfragen: Ist es nun die Kamera, die eine neue Realität erschafft – oder der Kontext, in dem wir die Bilder betrachten?
KLICK, macht die Türklinke, als ich irgendwo zwischen Realität, Illusion und Inszenierung perplex die Galerie verlasse. Ich frage mich, ob ich jetzt ein geschärftes Bewusstsein für die Macht der Inszenierung und eine neue Sensibilität für die subtile Manipulation des fotografischen Bildes habe. Die Antwort darauf werde ich erst erkennen, wenn mich die nächste Illusion herausfordert.
Alwin Lay Picardie 2024, baryt print 1/1 + 1 AP 35 x 28 cm, framed with passepartout 75 x 60 cm, Credits: Jennifer Gelardo
Ausstellungsansicht 1, Credits: Jennifer Gelardo
Ausstellungsansicht 2, Credits: Jennifer Gelardo
Ausstellungsansicht 3, Credits: Jennifer Gelardo