(05.12.2024-08.02.2025 ) von Lea Lamprecht | februar 2025
Als sechste Künstlerin der Ausstellungsserie DAS BILD UND SEIN BUCH im CHAPTER III der Christine König Galerie präsentiert die Wiener Malerin Olivia Kaiser das Gemälde A statue tall and pale und bezieht sich damit schon im Titel auf das poetische Œuvre des amerikanischen Meister des Banalen, William Carlos Williams.
DAS BILD UND SEIN BUCH möchte genau dieser Verbindung von Malerischem und Lyrischem nachspüren. Eingeladene Künstler*innen stellen multimediale Werke zusammen mit Literatur aus, die ihnen dazu auf vielseitige Weise relevant erscheint. Wort und Bild werden mannigfaltig aufeinander bezogen, um das Netz ihrer Verbindungen zu zeigen und die inhärenten Ausdrucksmöglichkeiten der Medien zu relativieren. Bereits im Frühjahr 2024 mit Michael Riedels Die Traumdeutung (A–Z) und somit einem Bezug auf Sigmund Freud begonnen, sind die Werkpaare der Ausstellungsreihe jeweils für begrenzte Zeit nacheinander in der Galerie CHAPTER III zu sehen.
Als Bindeglied und übergeordneter Rahmen fungiert eine dauerhaft installierte Illustration des rumänischen Künstlers und Autors Dan Perjovschi. Sie ziert die Wandsäule der Galerie, die sich knapp hinter dem Schaufenster befindet. In von Perjovschi handgeschriebenen Versalien läuft „DAS BILD UND SEIN BUCH“, zusammen mit ikonisch gezeichneten Büchern doppelstöckig über den Pfeiler. Perjovschis Installationen sind simplifiziert und radikal schmucklos. Die einfache visuelle Form wird benutzt, um institutionelle, gesellschaftliche, persönliche und soziale Kritiken postironisch formuliert an die Wand zu werfen. Einfach verständlich, aber intellektuell konstruiert wird der Gehalt des Arguments Perjovschis für die Betrachter*innen heruntergebrochen und exemplifiziert.
Der Titel von Olivia Kaisers Werk A statue tall and pale ist einer Stanze des Gedichtes The Province des Dichters William Carlos Williams entnommen. Williams literarisches Werk zeichnet sich formell durch eine ungewöhnliche Linienführung, eine rätselhafte Interpunktion und einen rigorosen Minimalismus aus – durch diese forcierte Banalität wird der inhaltlichen Idee Raum gegeben. The Province öffnet mit den Zeilen „The figure / of tall / white grass“ – das Wortbild von hohem Schilfgras, das aber in der Nuance des beschreibenden Wortes für seine Form – einer Figur – an etwas Menschliches erinnert. Formal ähnelt Williams Herangehensweise Perjovschis – Formen der Reduktion werden eingesetzt, um eine spezifische Idee zu transportieren.
Olivia Kaisers Gemälde setzt sich aus teils großzügigen, teils kleinteiligen, annähernd eckigen Farbflächen mit diffusen Grenzen zusammen. Locker rasterhaft angeordnet ziehen sie sich wie ein buntes Mosaik über die Leinwand. Es finden sich viele Momente der Übermalung sowie Konturlinien, die von überlappenden Flächen oft nivelliert werden. Es evoziert gleichermaßen Kirchenfenster und Alltägliches – die gegenüberliegende Häuserfassade aus dem Kindheitsfenster betrachtet. Eine offene Schmuckschatulle.
Die fließende Zeit wird in der Momentaufnahme der Leinwand festgeschrieben und uns gleichzeitig ganzheitlich präsentiert. Doch Oliver Kaisers abstrakte Schichtenmalerei legt in sich bereits ein Zeitdokument offen, das teilweise durchscheinend, rissig oder subtil-durchlässig frühere Werkstadien nachvollziehen lässt. Zusammen mit den kontrolliert durch Übermalung oder Auskratzung ausgelöschten Stellen wird das „Davor“ nicht nur technisch impliziert, sondern tatsächlich lesbar.
Zwei Meter vor dem Gemälde, an der Innenseite des Schaufensters, liegen die Textfragmente und Bücher von William Carlos Williams auf dem Boden. Sie sollen scheinbar dort wie zufällig hingefallen sein. Dieser Eindruck wird von Dan Perjovschis Illustration an der Wandsäule unterstützt, sie läuft unten in die dreidimensionalen Bücher Williams über. Das Gesamtbild erschließt sich mit Abstand von außen, erst durch das Schaufensterglas betrachtet, werden das Gemälde, der Wandtext und die Textfragmente gemeinsam sichtbar.
Unklar bleibt nicht nur, wer genau die Bücher Williams auswählte und am Boden platzierte, sondern auch ob diese angreifbare Vermittlungsmaterialien sind. Der institutionelle Rahmen und die Ausstellungssituation implizieren anderes. Bücher am Boden, Malerei und Illustration an der Wand – diese Situation impliziert noch weitaus mehr. Ohne den langen historischen Diskurs zwischen Malerei und Literatur abbilden zu müssen, kann ganz banal die Frage nach der Ausstellungsstruktur gestellt werden – soll die Lyrik unter der Kunst liegend dieser Wirkmacht gewähren? Nicht zu vergessen ist in dieser Konstellation der Text von Dan Perjovschis Installation – „DAS BILD UND SEIN BUCH“ und nicht „DAS BUCH UND SEIN BILD“ oder „DAS BILD UND DAS BUCH“. Ist Perjovschis Wahl des Possessivpronomen „sein“ und die Reihung der Kunstformen im Satz eine ironische Reflexion über genau diese Ausstellungsstruktur?
Olivia Kaisers und Dan Perjovschis Verständnis der Wirkmacht der Kunst könnte konträrer nicht verlaufen. Kaisers geschichtete, bunte Malerei durchbricht die Frontalwirkung der Ausstellungssituation vor dem Schaufenster. Man möchte nähertreten, den Farbschichten nachspüren, die Überlappungen entschlüsseln und die Tiefe der Auskratzung selbst vermessen. Treten Betrachter*innen dann zwischen das Bild und die Bücher in den Galerieraum ein, füllen sie unweigerlich die Rolle des Bindeglieds. Eingefangen in dieser Konstellation kann man nicht entfliehen und sieht sich um die eigene Achse drehend dazwischen hin und her wirbelnd. In Kaisers Gemälde sowie in den wie casually hingeworfenen Textfragmenten findet sich eine kontrollierte Unordnung, die an eine mental map, eine Topografie der Gedanken erinnert: ein räumlich aufgelöstes Geflecht voller Schichtung, Auslöschung, Überschreibung, Banalität und Ausbruch. Ein Studienzimmer oder Kinderzimmer voller Notizen und Farben, eine Sammlung des Ichs.
Die Ausstellungsserie lädt die Betrachter*innen ein, sich alle paar Monate wieder als Bindeglied auf zwei neue Welten einzulassen. Denn die Werkpaare können nur durch die Verfolgung der Serie über längere Zeit hinweg erfahren werden. Die wiederkehrenden Betrachter*innen können die verschiedenen künstlerischen Positionen erneut mit Dan Perjovschis Illustration vergleichen, und stehen jedes Mal wieder unweigerlich vor dem Bild und seinen Büchern.
Ausstellungsansicht, Olivia Kaiser, words and paints, Christine König, CHAPTER III, Credits: Simon Veres
Olivia Kaiser, A Statue Tall and Pale, words and paints, Christine König, Credits: Simon Veres
Installationsansicht, DAN PERJOVSCHI, Christine König, Credits: Simon Veres