artikulation #6 The Artists Alone Decide
curated by Can
(9.9.25-4.10.2025 )
von Valentina Schatzer | september 2025

Die Auswahl ist subjektiv – und das mit Absicht. Freunde, Weggefährt*innen, Gleichgesinnte. Carte Blanche für das, was man selbst gut findet. Und genau das ist spürbar: Statt einer kohärenten Erzählung entfaltet sich ein feines Geflecht aus Stimmungen, Ideen, Assoziationen. So funktioniert CAN – ein artist-run space im 3. Wiener Gemeindebezirk, betrieben von Anna-Sophie Berger und Benjamin Hirte, zwei Künstler*innen, die unter anderem bei LAYR vertreten sind. CAN, sonst nonkommerziell, wurde eingeladen, das kommerzielle Setting der Galerie Felix Gaudlitz temporär zu bespielen.

The Artists Alone Decide – eine programmatische Setzung, vielleicht auch eine subtile Provokation. Die Künstler*innen allein entscheiden,was gezeigt wird, wie, in welchem Zusammenhang. Die Rolle der Kurator*innen wird damit bewusst in den Hintergrund gedrängt, zugunsten einer offeneren, weniger kontrollierten Form der Präsentation. Dass dies ausgerechnet im Kontext von curated by passiert, verschiebt die Frage vom Kuratieren hin zur Selbstermächtigung: Wer entscheidet? Und wer darf entscheiden, wenn Entscheidungsfindung selbst Teil des kuratorischen Konzepts wird? Beim Betreten der Ausstellung drängt sich die Frage auf:

Can CAN?

Was auf den ersten Blick wie eine beliebige Aneinanderreihung wirkt, folgt anderen Prinzipien: Es gibt keine zentrale These, keine vermittelnde Narration. Dafür Werke, die im Nebeneinander Spannung erzeugen. Wie sich das konkret zeigt, demonstriert fnsystems featuring Pen’s Bungalow (Music for refreshing the Systems)(1998) von Flora N. Galowitz – eine Videoinstallation, die mit veralteter S-VHS-Ästhetik arbeitet und sich dennoch überraschend gegenwärtig anfühlt. Drei Frauen, gekleidet in übersättigten Grün-, Gelbund Rottönen, posieren und tanzen im Flimmern der Kamera.

Kontrastierend dazu begegnet uns Hans-Christian Lotz' Arbeit erstmal kühl: Untitled ( 2019) 189 x 760 x 4 cm, eine präzise Aluminiumarbeit , die sich gängigen Funktions- und Bedeutungszuschreibungen entzieht. Ihre Struktur erinnert an das verschlungene Nest elektrischer Strombahnen , an die Platine eines überdimensionalen Geräts, an ein PacMan-Level oder eine aufgerissene Ameisenstraße – ein technisches Relief, das weder rein funktional noch eindeutig narrativ lesbar ist. In dieser Ambivalenz zwischen industrieller Anmutung und offener Assoziation liegt eine stille Spannung. Lotz' Arbeit verweigert sich der Einordnung und entgleitet der Interpretation beinahe so konsequent, wie sie sie zunächst provoziert.

Ganz anders der Zugriff von Pol Summer. Der Absolvent der Angewandten (Malereiklasse Bohl, 2025) zeigt vier Gemälde . Besonders auffällig : sehr gut/very good (2025), eine vollständige Übermalung eines FPÖ-Wahlplakats – roh, schmutzig weiß , politisch aufgeladen.

Subtiler, aber ebenso eindrucksvoll in der Materialverhandlung agiert Teak Ramos’ Seidenarbeit auf Holz Something Borrowed – Parasol 02 (2024), 102.4 x 102.4 x 3.8 cm, welches zwischen Zartheit und Materialkritik changiert, während Simon Lässig und Vera Lutz in ihrer Soundinstallation Innere Stadt (2019) den urbanen Raum selbst aus wiederum veralteten Computer Lautsprechernzum sprechenden Subjekt machen.

Von eigensinniger Präsenz sind auch die hängenden Kugeln (Untitled, 2020) von Bradley Kronz, von dem auch der Ausstellungstitel stammt – entlehnt aus Kronz’ gleichnamiger Einzelausstellung in der Matthew Gallery, Berlin (2015). Sie schweben scheinbar zwischen physischer Schwere und konzeptueller Leichtigkeit. Ihre Platzierung vor dem Türrahmen des Ausstellungsraums , eingefasst in eine zusätzliche Rahmung , erzeugt eine visuelle und räumliche Doppelung und wirktwie ein bildhauerischer Kommentar auf das Sehen selbst – auf das, was eintritt , was durchschritten , was gerahmt wird. Die Spannung entsteht aus der Unklarheit , ob es sich um eine gezielte Inszenierung des Kunstobjekts handelt oder um eine beiläufige architektonische Setzung, die erst im Nachhinein Bedeutung gewinnt.

Fast beiläufig hingegen treten die kleinformatigen Schwarzweißfotografien von Nora Schultz in Erscheinung , darunter Keil 3 (2025 ) 16 .1 x 25 cm , welche durch ihre monochrome Ästhetikbetörenund gerade durch ihre Zurückhaltung stören.

An dieser Stelle wird deutlich, dass CAN andere Spielregeln verfolgt: Wer hier Orientierung erwartet, wird enttäuscht. Wandtext? Fehlanzeige. Werklisten? Minimalistisch. Erklärung? Eher nicht. Die Besucher*innen sind aufgefordert, sich zwischen den Arbeiten zu bewegen, selbst Verbindungen herzustellen, Spuren zu lesen, Fragmente zu fügen — oder auch auseinanderfallen zu lassen.

Diese Arbeiten kommunizieren nicht im klassischen Sinne miteinander – sie sprechen nebeneinander, gelegentlich aneinander vorbei, manchmal flüstern sie, manchmal fordern sie heraus. Das Risiko der Isolation ist spürbar, doch es scheint bewusst in Kauf genommen. Fragmentierung wird hier nicht als Mangel, sondern als Methode verstanden.

Und doch gibt es einen Moment der Verdichtung, ein Objekt sticht heraus: Eine schwebende Kugel, aus der Pinsel wie Stachelzacken herausragen. Pol Summer hat hier nicht etwa ein Kunstwerk im klassischen Sinne geschaffen, sondern seine Werkzeuge selbst zum Werk erhoben. Es sind die Pinsel, mit denen er seine Gemälde gefertigt hat – jene Werke, die den Großteil der Ausstellung bilden. CAN hat hier offenbar doch selektiver kuratiert. Eine Arbeit, die zwischen Skulptur, Waffe und Metapher oszilliert. Als eine Besucherin versehentlich mit dem Kopf dagegen stößt und ein Pinsel herausfällt, wird die schwebende Abstraktion plötzlich konkret – eine beinahe körperliche Konfrontation. Ist Kunst hier Werkzeug oder Waffe? Verletzlichkeit oder Angriff? Das Objekt bleibt unkommentiert im Raum – offen für Projektionen. Vielleicht ist genau das sein Zweck: eine stille Verdichtung der Ausstellung, ein Hinweis darauf, dass auch das Nebenprodukt, das vermeintlich Nebensächliche ins Zentrum rücken darf – als stilles Herzstück der Ausstellung, als Metapher für die Fragilität künstlerischer Selbstbehauptung.

Was sich hier atmosphärisch andeutet, greift der begleitende Essay analytisch auf: Das Thema der fragmentierten Subjektivität zieht sich als offener Resonanzraum durch die Schau – ohne didaktisches Leitmotiv. Sophia Roxane Rohwetter liefert den theoretischen Unterbau: Fragmentierung als Potenzial, kritische Selbstverwerfung und politische Öffnung, nicht als Symptom. Identität erscheint nicht als fixe Kategorie, sondern als widersprüchlicher Prozess – zersplittert, in Bewegung, offen.

CAN schafft einen Möglichkeitsraum, einen Raum für das Uneindeutige, das Vorläufige, das Nicht-Abgeschlossene, der sich mit Leerstellen abfindet. Der große Verdienst dieser Ausstellung liegt darin, dass sie Autor*innenschaft nicht mit Kontrolle verwechselt. CAN greift nicht ordnend ein, sondern lässt die Dinge zu – ein mutiger Schritt, der nicht immer aufgeht, aber genau darin interessant wird. The Artists Alone Decide ist keine Ausstellung , die erklärt, beruhigt oder zusammenfasst. Sie stellt Fragen , öffnet Zwischenräume , lässt Unsicherheiten zu. In einem kommerziellen Galerieraum wie dem von Felix Gaudlitz ist das mehr als ein kuratorischer Versuch – es ist ein stiller, entschlossener Akt des Widerstands gegen das Erwartbare.

Und so bleibt zu sagen: Yes, CAN can. Vielleicht gerade deshalb, weil sie nicht vorgeben, die große Antwort auf das Kuratieren der Gegenwart zu haben. Weil sie die Entscheidung an jene zurückgeben, die im Zentrum stehen sollten: die Künstler*innen selbst.






Pol Summer, Untitled, 2023, Oil paint, brushes, staples, styrofoam, acrylic paint 50 × 60 × 60cm, Image Credit: Courtesy the artist and FELIX GAUDLITZ, Vienna



Installation View (from left to right): Pol Summer, Blind-Ohm-Geier, 2025; Pol Summer, Kompostgruppe Giorgio Vasari, 2025; Pol Summer, sehr gut / very good, 2025; Teak Ramos, Something Borrowed - Parasol 02, 2024, Image Credits: Courtesy the artist and FELIX GAUDLITZ, Vienna (Hans-Christian Lotz, Pol Summer, Teak Ramos, Simon Lässig & Vera Lutz)


Hans-Christian Lotz, Untitled, 2019, Aluminum189×760×4 cm



Simon Lässig & Vera Lutz, Innere Stadt, 2019, Speakers, cables, mp3-player, sound Dimensions variable, Image Credit: Courtesy the artists and FELIX GAUDLITZ, Vienna, Ausstellungsansicht 2, Credits: Lombardi-Kargl, Foto: kunst-dokumentation.com