artikulation #6
Shored Against My Ruins
curated by DJ Hellermanunter
(5.9.25-4.10.2025 )
von Sara Samardžić | september 2025

Fragmentierung als Illusion:
Eine Kritische Betrachtung von Shored Against My Ruins

Im Rahmen des diesjährigen Festivals Curated by versammelt der Kurator DJ Hellermanunter unter dem Titel Shored Against My Ruins und dem thematischen Rahmen des Festivals – Fragmented Subjectivity – die Arbeiten von sieben Künstler*innen in der Galerie Kandlhofer. Obwohl man zunächst erwarten könnte, dass sich die Ausstellung mit dem Verlust und der Zersplitterung der persönlichen Identität beschäftigt, warnt uns DJ Hellerman bereits am Anfang durch den Pressetext: Die Fragmentierung ist nur eine Illusion.

Der Weg durch diese Ausstellung wirkt wie ein Gespräch zwischen den Künstler*innen und ihren Arbeiten. Beim Bewegen durch den Raum hatte ich das Gefühl, als hätten sich diese Werke versammelt, um eine imaginäre Selbsthilfegruppe zu bilden, die dich unaufdringlich dazu einlädt, ihr beizutreten. Dieser Moment der Kommunikation ist so subtil, dass er beinahe unmerklich bleibt. Er drängt keine Gefühle auf, sondern öffnet die Tür zu einer melancholischen Kontemplation durch Kinderaugen, die noch gar nicht wissen, was all die großen Worte wie Fragmentierung und Subjektivität bedeuten.

Eines der eindrucksvolleren Werke für mich ist sicher TR Ericssons Arbeit „Bouquet (Merlot)“. Auf den ersten Blick erscheint sie wie einer seiner melancholischen, ätherischen Drucke. Auf der Leinwand befindet sich ein schwarz-weißer Druck eines Blumenstraußes, mit einem rötlichen Fleck auf der linken Seite. Doch es ist keine Farbe, die hier haftet, sondern verschütteter Rotwein. Genauso subtil wie bedeutungsschwer fungiert diese Geste als emotionaler Auslöser und verwandelt das Werk in eine Erinnerung – es evoziert das Gedenken an die Mutter des Künstlers und ihren Kampf mit dem Alkoholismus. Die verschütteten Tropfen sind nicht dekorativ; in ihnen hallt ein ganzes Lebensfragment wider. Es ist, als wäre die gesamte Beziehung von TR Ericsson und seiner Mutter in diesem rötlichen Fleck komprimiert, und wir sind eingeladen und willkommen, seiner intimen Semantik nachzuspüren.

Diesen schweren Gefühlen steht die entrückte Leichtigkeit von Maja Ruznics Arbeiten gegenüber. Sie ruft schönere Erinnerungen an ihre Großmutter und ihren Großvater hervor. Beide ihrer Werke sind nebeneinander ausgestellt. Links befindet sich die Arbeit „NANA“, was übersetzt „Großmutter“ bedeutet. Das Bild zeigt eine oder mehrere Figuren, halbtransparent, mit weichen, fast verblassten Konturen. Die Farben sind gedämpft und erzeugen eine warme Atmosphäre. Rechts befindet sich das Gemälde mit dem Titel „The Fading Memory of Your Grandfather“. Ähnlich wie „NANA“ zeigt auch dieses Werk abstrakte Figuren, jedoch sind die Farben hier kräftiger und ausdrucksstärker. Zusammen bilden sie eine Einheit: Das eine eröffnet uns die persönliche Welt der Künstlerin und ihrer Erinnerungen, während das andere den Raum zu einer kollektiven Dimension erweitert, in der sich Fragmente von Erfahrungen und Erinnerungen verweben. Es ist, als würden vor den Augen der Betrachtenden verblasste Erinnerungen vorbeiziehen, die immer wieder hartnäckig in Form von Fragmenten zurückkehren.

Zuletzt präsentiert Franco Andrés einen Zyklus von Ölgemälden auf Leinwand in mehreren Teilen. Die Figuren sind nur teilweise erkennbar, ähnlich wie bei Ruznic schweben sie zwischen Präsenz und Abwesenheit. Motive wiederholen sich und verschwinden über die Leinwand hinweg, was ein Gefühl instabiler, subjektiver Erinnerung erzeugt. Diese Arbeiten evozieren durch ihre Atmosphäre und fragmentarischen Formen ein universelles Gefühl des Unfassbaren, des Vergänglichen. Andrés scheint den Prozess der Rekonstruktion von Erinnerungen mitsamt seinen Lücken zu malen – in diesem Prozess des Verschwindens und Wiedererscheinens spielen Fragmente eine entscheidende Rolle, ebenso wie ihre ambivalente Eigenschaft, sowohl Essenz als auch Bruchstück eines Ganzen zu sein.

Die gesamte Ausstellung bietet keine endgültige Antwort, sondern eine auf den ersten Blick unkonventionelle Perspektive auf die „Fragmented Subjectivity“ freiliegt. Der Pressetext ist Ausgangspunkt, nicht Schlussfolgerung. Die Betrachtenden entscheiden selbst, ob Fragmentierung tatsächlich Verlust, Entfremdung, Zerstreuung bedeutet oder eine Gelegenheit für ein neues Ganzes darstellt. Vielleicht waren wir nie wirklich fragmentiert – vielleicht mussten wir nur lernen, Fragmentierung als Potenzial zur Konstitution und Identifikation eines neuen Ganzen zu betrachten.




Installation View, Shored Against My Ruins, 2025 at Galerie Kandlhofer, Vienna; Photo Credits Manuel Carreon Lopez, courtesy of Gallery Kandlhofer


Maja Ruznic NANA, 2025 © Maja Ruznic; Courtesy the artist and Karma, Photo by Manuel Carreon Lopez



Maja Ruznic, The Fading Memory of Your Grandfather, 2025© Maja Ruznic. Courtesy the artist and Karma Photo by Manuel Carreon Lopez



Installation View, Shored Against My Ruins (works by Franco Andrés), 2025; Photo Credits Manuel Carreon Lopez, courtesy of Gallery Kandlhofer