artikulation #3 Verein Papagaio: Raízes Indígenas
(25.11.2024-05.12.2024)
von Lanah Quintern | januar 2025

Tukane in der Luft, Leopard und Wombat wie Schwestern nebeneinander, ein Fuchs schläft in der Ecke, obwohl es laut ist. Und da ist Marcelo Costa Cuhexê Krahô, der in den Himmel greift, eine Maracá-Rassel fängt und singt: „Caiu uma flecha lá na mata. Veio o sereno e molhou. Mas depois veio o sol, enxugou, enxugou. E a mata se abriu toda em flor …“ (Ein Pfeil fiel dort im Wald. Der Tau kam und benetzte ihn. Danach aber kam die Sonne, trocknete, trocknete und der Wald öffnete sich ganz in Blüte …). 

Die Wände dieses Waldes haben noch nie so bunt geleuchtet. Hier – in der Galerie des Spektakel Wien – hängen die Erinnerungen von Ester Menezes Xukuru und Isabella Kariri, zwei indigene Künstlerinnen aus Brasilien. Ester Menezes Xukuru reist seit 2020 als Fotojournalistin durch Brasilien, um die indigene kulturelle Vielfalt der verschiedenen Regionen festzuhalten. Ihre Fotografien sind ethnographische Porträts der Menschen und ihrer Traditionen. Mit elf Werken zeigt die Künstlerin Kinder und Erwachsene oft in traditioneller Kleidung unter freiem Himmel. Ein Junge hält mir eine Schildkröte entgegen, ich sehe zu, wie jemandem die Haare geschnitten werden und dann stehe ich einer Frau gegenüber, die Äste in der einen und ein Messer mit der anderen Hand in die Höhe hält. Die Fotografien suggerieren unmittelbare Nähe, doch es entsteht ein zwiespältiges Gefühl: Als wäre ich Vertraute und gleichzeitig zu nah getreten. Dabei schwanken ihre Blicke zwischen Stolz und Traurigkeit.  Ähnliche Blicke finde ich auch in Isabella Kariris Fotografien. Doch viel deutlicher zeigt sich in diesen auch eine Kraft, die Thema vieler ihrer Arbeiten ist. Als Aktivistin dokumentiert sie mit ihren mono- und polychromen Fotografien die Kämpfe der Indigenen Brasiliens. Indigene vor den Regierungsgebäuden Brasilias. Nur noch die Türme des Nationalkongresses ragen über die Köpfe der Protestierenden. Es sind Bilder vom April 2024. Jedes Jahr kommen Indigene in die Hauptstadt, um für ihre Rechte und den Schutz ihrer Territorien zu demonstrieren. Ihre Kraft äußert sich nicht in Gewalt, sondern in der Gemeinschaft und dem Stolz, der sie erfüllt. 

Zwischen den Fotografien: Tiere aus Pappe und Rasseln, einige aus Plastikflaschen gebastelt. Die Installation entstand in Zusammenarbeit mit dem Casa de Cultura Brasil Austria und Schüler*innen zweier Schulen in Aracaju. Die Tiere und Gegenstände verwandeln den Raum in brasilianischen Regenwald und tragen so zu dem Gefühl der Unmittelbarkeit bei. Aber es dauert nicht lange, bis mir auffällt, dass ich anders bin, gewohnt, Kunst in Räumen mit strengen Verboten und Geboten zu erfahren und von einer Hierarchisierung der Sinne befangen. Die Brasilianer*innen hingegen, viele als Teilnehmer*innen des Festivals nach Wien gekommen, interagieren wie selbstverständlich mit den Ausstellungsstücken, sie fassen sie an und tragen Teile der Installationen umher. 

Die Ausstellung Raízes Indígenas (indigene Wurzeln) wird kuratiert von Vanessa Noronha Tölle und will den Reichtum der indigenen Kulturen Brasiliens erkunden und feiern. Sie ist Teil des festival cultural do Brasil, das zum 12. Mal in Wien stattfindet und sich zur Aufgabe gemacht hat, die brasilianische Kultur zu verbreiten und Begegnungsräume zu schaffen. 

Ich stehe in so einem Begegnungsraum neben der Schlange, die die Welten verbindet (A cobra que costura os mundos, eine Installation von der Kuratorin und Elaine Bomfim) und erinnere mich an die Veranstaltung des Festivals im Weltmuseum Wien einen Tag zuvor. Neben Performances wurden dort Filme von indigenen Künstler*innen gezeigt, die sich mit Kolonisation und dem Verlust der indigenen Kulturen auseinandersetzen. Die geraubten Identitäten sollen wieder gelebt und sichtbar werden, auch durch die Fotografien von Ester Menezes Xukuru und Isabella Kariri. Doch an den weißen Wänden daneben hängen Werke, die sich einmischen und kaum Gefühle der Intimität erzeugen. Sie sind von nicht-indigenen Künstler*innen aus Brasilien hierhergebracht worden. Auf den ersten Blick zeigen einige der kleinformatigen Bilder Indigene. Aber tritt man näher, muss man vereinzelt fragen, sind sie das? Sind das Indigene? Oder handelt es sich vielmehr um rassistische Fremdbezeichnungen, um fetischisierte Vorstellungen, um Stereotype, die hier ihre Bühne finden? 

„Nicht-indigene Künstler*innen tragen Werke bei, die zwar aus externen Perspektiven stammen, aber zutiefst respektvoll sind“ und „mit den zwei talentierten indigenen Fotografinnen […] einen visuellen Dialog [schaffen], der kulturelle und geografische Barrieren überwindet“, heißt es auf der Homepage des Festivals. Externe respektvolle Perspektiven für kulturellen Austausch mit Indigenen? Wie soll dieser Austausch funktionieren, wenn die Nicht-Indigenen Künstler*innen statt der eigenen Kultur, sich indigener Kulturen bedienen? Es scheint mir eher, als versuchten die Nicht-Indigenen Künstler*innen mit ihren Werken zur Sichtbarkeit der indigenen Kulturen beizutragen.  Auch wenn in einigen der Werke diese Potential zu bestehen scheint, werden sie auch dem nicht immer gerecht.  Teilweise verunklären sie die Selbstrepräsentation der Indigenen in den Fotografien und aus dem Respekt dieser externen Perspektiven wird durch Unwissenheit Diskriminierung. Eine der Künstler*innen spricht stolz über ihren „Indianer“ – ein Moment, der die gesamte Ausstellung bezeichnet: Es fehlt an Aufklärungsarbeit, selbst die Indigene des Ausstellungs- und Festivalplakats scheint KI-generiert.

Der Regenwald, in dem ich stehe, wird zu einem dichten Dschungel aus externen Perspektiven, durch die ich mich zu kämpfen versuche. Es wird mir klar, dass wir gesellschaftlich noch viel diskutieren müssen: Wie verhalten wir uns dekolonial? Wie informieren wir uns? Wie können wir aufklären und was für Auswirkungen haben unsere Handlungen?


Ausstellungsansicht 1 , Foto: Lanah Quintern

Ausstellungsansicht 2, Foto: Lanah Quintern


Ausstellungsansicht 3, Foto: Lanah Quintern