artikulation #3
Alicia Viebrock: Bellaboteurs
(28.11.2024-10.01.2025) von Alina Weillechner | januar 2025

Bereits zum dritten Mal stellt die Galerie Kandlhofer Arbeiten der deutschen Künstlerin Alicia Viebrock in einer Einzelausstellung aus. Die aktuelle Ausstellung Bellaboteurs, deren Titel eine Verschmelzung von „bella“ und „saboteur“ darstellen soll, zeigt insgesamt sechzehn Arbeiten der Künstlerin. Sie drehen sich alle um die titelgebenden Konzepte von Schönheit und Sabotage im Ausstellungstext mit der Idee der „absichtlichen Zerstörung“ übersetzt.

Von Vertreterinnen des abstrakten Expressionismus inspiriert, sucht Viebrock ihren Ausdruck nicht in der Bescheidenheit, sondern im großen Format (das größte Werk misst 190 x 280 cm), welches ihr als Bühne dient. Das Medium der Farbe und deren immanente Eigenschaften – das Fließen, Verteilen, Verschwimmen, Zergehen spielt hierbei die Hauptrolle: Sie kreiert neue Kompositionen und löscht sie aus. Die Farbe gibt sich ästhetisch ansprechend – bella und scheint sich auf den weißen, noch häufiger braunen, sehr grob gewebten und meist ungrundierten Leinwänden aufzulösen und wegzuschwimmen. Dabei könnte der Bildgrund selbst als „Saboteur“ fungieren, indem er durch seine Unregelmäßigkeit ein gänzliches Verschwimmen der Farbe verhindert und sich so  deren ästhetisches Potenzial (scheinbar) nicht zur Gänze entfalten kann. Dabei sind es aber oft die minimalen Störelemente, die der „Schönheit“ Glaubwürdigkeit verleihen. 

Der flüchtige Effekt der aufgefächerten Komposition und der Farben (als optische Verzückung, aber auch des Materials), welche von Freiheit im Auftrag und Impulsivität zeugen, wurde durch Spritzen oder durch das Auftragen in dicken Schichten erreicht. Nicht nur das für Verlaufseffekte charakteristische Medium der Tinte, welches Viebrock gemeinsam mit leuchtender Acrylfarbe verwendet, sondern auch die kompositorischen Eingriffe in den (Ver-)lauf der Farbe erinnern stilistisch an Rorschachtests, eine umstrittene Methode mittels derer Annahmen zur menschlichen Psyche gemacht werden können. So suggerieren auch Viebrocks Arbeiten einen Einblick in innere psychologische Prozesse und Vorgänge der Künstlerin, welche sich vermeintlich in den prozessualen und impulsiven Farbverläufen manifestieren, die Katharina Cichosch als „Farbexplosionen“ bezeichnet.1) Dazu tragen auch die Bildtitel bei, die durch Namen wie Pms sins (x) oder Head a ferrari, body a fiat (z) mehr Assoziationen über die Künstlerin als über die Bilder evozierend minimalistische Anklänge einer introspektiven Arbeitsweise erkennen lassen. Die theatralische Inszenierung der Farbe, die durch den Körper und den Geist auf die Leinwand geschüttet, gesprüht, gepinselt oder verteilt wurde, ist vor allem in Werken wie Anhedonia/-princess (2024) zu erkennen, bei der die Farben gleich einem Matisse-artigen Reigen tanzen. Das Spiel zwischen Material und Leere, zwischen deren Verlauf und deren Purheit ist hier wie auch in den anderen ausgestellten Werken aus Viebrocks Bilderzyklus präsent. 

Die in der Ausstellung angesprochene „Schönheit“ findet sich in den Farben, während die selbstzerstörerischen Aspekte, der Galerie zufolge, aus den auf der Bildfläche freigelassenen Stellen der Leere sichtbar werden sollen. Das verdeutlicht vor allem die schwarzweiße Ohne Titel-Serie von 2024, deren Monochromie konträr zu den Farbauffächerungen der anderen Arbeiten verläuft. In diesen Werken, die als monumentales Triptychon inszeniert sind, stehen die Charakteristika der schwarzen Tusche im Vordergrund. Das vorher noch so harmonische Fließen und Verlaufen der Farbe wird nun durch energetisches Spritzen und Wischen ersetzt, das sich kraftvoll von der diesmal weißen Leinwand abhebt und große Flächen des Bildgrundes allein und unbespielt stehen lässt. Die mäandernde Farbe, die sich in ihren Ausläufen fein und elegant zuspitzt, bewahrt dennoch etwas von ihrer Fragilität, die das Interesse vom großen Ganzen ins Detail verschiebt und so erneut zur in der Ausstellung omnipräsenten Frage des Mediums rotiert. Jedoch scheint es sich bei den Momenten der Sabotage hier wie auch in den anderen Werken um eine Ästhetisierung und nicht um eine Offenlegung dieser zu handeln. Das eröffnet die Frage nach dem Verhältnis dieser beiden Konzepte zueinander in Viebrocks Kunst. Dabei scheinen die beiden Begriffe der Schönheit und der „absichtlichen Zerstörung“ gar nicht so diametral zueinander zu stehen, wie von der Galerie dargestellt. Vielmehr findet eine Ästhetisierung und Angleichung der nur marginal präsenten Sabotage statt, wodurch deren emanzipatorisches Potenzial als Störung auch infrage gestellt wird.  Dabei zeigen Viebrocks Arbeiten vor allem, dass Farbe und Leere sich nicht nur annähern, sondern sich komplementieren und ihr Wechselverhältnis die ästhetische Erfahrung anfeuern kann. 


1) Cihosch, Katarina/Viebrock, Alicia, Viebrock, Kat. Ausst. Galerie Bärbel Grässlin, Frankfurt am Main 2024, S. 4.


Installation View IV, Alicia Viebrock, Bellaboteurs, 2024, photo by Manuel Carreon Lopez

Detail zu  Installation View IV  


Installation View XI, Alicia Viebrock, Bellaboteurs, 2024, photo by Manuel Carreon Lopez



Installation View X, Alicia Viebrock, Bellaboteurs, 2024, photo by Manuel Carreon Lopez